RECHT | STAAT | WIRTSCHAFT
Auch wenn die Budgets ausgeglichen sind, kann der Rechnungsabschluss aufgrund von Schätz- fehlern, einer veränderten Wirtschaftslage oder einer ungeplanten Aufgabenentwicklung ein De- fizit ergeben. Der jährliche Ausgleich solcher nicht oder nur schwer voraussehbarer Schwankun- gen kann kurzfristig nicht mit Ausgabensenkungen oder Steuererhöhungen ausgeglichen werden. Weiter können sich auch saisonale Schwankungen, wie z. B. bei den Steuerträgen, ergeben. Deshalb ist eine kurzfristige Staatsverschuldung sinnvoll. Da aber in guten Jahren ungeplante Überschüsse erzielt werden, wird die eingegangene Verschuldung über mehrere Jahre wieder ausgeglichen. Es besteht in der Volkswirtschaftslehre die breite Auffassung, dass bei einer schlechten Konjunk- turlage mit abgeschwächten Steuereinnahmen und konjunkturell bedingten Zusatzausgaben, z. B. bei der Arbeitslosenversicherung, Staatsdefizite sinnvoll seien. Damit werde die Konjunktur nicht wie in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts zusätzlich mit einer restriktiven Finanzpolitik be- lastet. Der Staat trage mit den Defiziten zur Stabilisierung und zur Konjunkturerholung bei. Dieses Konzept verlangt, dass bei einer guten Konjunktur der Staat Überschüsse zu erzielen hat. Damit kann die Verschuldung über die Dauer eines ganzen Konjunkturzykluses stabil gehalten werden. Das ist allerdings im politischen Prozess nicht einfach durchsetzbar. Dem bekannten österreichi- schen Nationalökonom und Politiker Joseph Schumpeter wird die Aussage zugeschrieben: «Eher legt ein Hund einen Wurstvorrat an, als eine demokratische Regierung eine Haushaltsreserve». Ein heute – insbesondere in den USA – wieder aktueller Ansatz propagiert eine umfassende Schuldenfinanzierung. Die Modern Monetary Theory (MMT), auf Deutsch: Moderne Geldtheorie, postuliert, dass sich die Wirtschaftspolitik nicht von der Einnahmenseite beschränken lassen solle. Ein souveräner Staat mit eigener Währung kann im Gegensatz zu privaten Haushalten und Unter- nehmen nicht Bankrott gehen. Hohe Staatsausgaben und Schulden seien nur dann problematisch, wenn die Kapazitätsgrenzen der Wirtschaft erreicht werden und eine Inflation droht. Steuern sind kein Finanzierungsinstrument des Staates, sondern dienen dazu, die Inflation zu begrenzen. Die grosse Mehrheit der Ökonomen lehnt diese Theorie ab und warnen, dass das unbegrenzte Gelddrucken zur Hyperinflation und zur Zerstörung der Währung führt. Sie verweisen auf war- nende Beispiele wie Deutschland zu Beginn der 1920er Jahre oder in den letzten Jahren Länder wie Simbabwe und Venezuela. Auch wird bezweifelt, dass die Regierung bei steigender Inflation die notwendigen Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen durchsetzen könne, da mit den vorprogrammierten Verteilkämpfen sich kaum eine politische Mehrheit finden würde. Angesichts der seit 2022 stark steigenden Inflation und Zinsen sind die Stimmen der Befürworter der MMT weitgehend verstummt.
Nachteile der Staatsverschuldung
Die wichtigsten Nachteile der Staatsverschuldung sind: ➞ Steigende Zinssätze und steigende Belastung der Budgets und Verdrängung der privaten Investitionen ➞ Geringer Handlungsspielraum wegen gebundener Zinsaufwände und der notwendigen Rückzahlungen ➞ Übernahme der Schulden durch die Zentralbanken mit inflationärer Tendenz ➞ Zahlungsunfähigkeit und Schuldenschnitt
Der Zinsaufwand stellt eine gebundene Ausgabe dar, da er entsprechend den abgeschlossenen Verträgen zwingend zu bezahlen ist. Wenn er einen immer höheren Anteil am Staatsbudget ein- nimmt, verbleiben weniger Mittel für produktive Staatsaufgaben wie Bildung, Forschung und Inf- rastruktur oder für notwendige Aufgaben wie Sicherheit oder Gesundheit. Mit einer hohen Verschuldung beansprucht der Staat grosse Teile der anlagesuchenden Mittel im privaten Kapitalmarkt. Die Mittel werden knapp und die Zinsen steigen, wodurch sich die private Investitionsneigung reduzieren kann. Dies wiederum führt zu einer Abschwächung der Konjunktur. Wenn die Staatsverschuldung völlig aus dem Ruder läuft, besteht die Gefahr, dass die Staats- schuld – wie die Ökonomen sagen – monetarisiert wird. Das heisst, die Zentralbank übernimmt die alten und die neuen staatlichen Schulden mit zu tiefen Zinssätzen. Dies führt zu einer ex- pansiven Geldpolitik mit einer massiven Ausdehnung der Geldmenge. Längerfristig führt dies zu anziehender Inflation und kann gar in einer Hyperinflation enden, wie z. B. die Erfahrungen in Deutschland nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg oder auch jüngst in südamerikanischen Staaten oder in der Türkei gezeigt haben.
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