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Der Begriff des überwiegenden Interesses bedeutet eine Abwägung zwischen dem Interesse des Opfers und einem anderen Interesse, das in die entgegengesetzte Richtung geht. Dabei kann es sich um das Interesse des Täters (z. B. Selbstverteidigung, Recht auf Meinungsäusserung), des Opfers selbst (z. B. lebenswichtige Operation während der Bewusstlosigkeit des Opfers), mögli- cherweise eines Dritten oder auch um ein öffentliches Interesse (z. B. Auftrag zur Information der Presse, Schutz der öffentlichen Gesundheit oder Sicherheit) handeln.
Ein Beispiel für eine Rechtfertigung durch das Gesetz ist die Publizität bestimmter Register (z. B. des Grundbuchs).
Mittel zum Schutz der Persönlichkeit
Im Falle eines unrechtmässigen Eingriffs in seine Persönlichkeit stehen dem Opfer – oder seinem gesetzlichen Vertreter – verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Erstens kann er oder sie zu seinem oder ihrem Schutz rechtliche Schritte einleiten. Dies ist als Abwehrmassnahme bekannt. ZGB 28a Abs. 1 erlaubt es dem Richter somit:
➞ einen unrechtmässigen Eingriff zu verbieten, wenn er unmittelbar bevorsteht; ➞ ihn zu stoppen, falls er noch andauert; ➞ die Widerrechtlichkeit festzustellen, wenn sich dieser weiterhin störend auswirkt.
In Fällen von Gewalt, Drohungen oder Belästigungen (insbesondere zwischen Personen in einem gemeinsamen Haushalt) bietet ZGB 28b zusätzliche Möglichkeiten.
Neben einer Abwehrklage kann das Opfer auch eine Klage auf Schadenersatz erheben, wenn ihm durch die Verletzung seiner Persönlichkeit ein Schaden entstanden ist (ZGB 28a Abs. 3). Das Opfer kann somit (kumulativ) Ansprüche geltend machen: ➞ Schadenersatz für die Herabsetzung seines Vermögens ( OR 41 ff. / OR 97 ff. ); ➞ Ausgleich immaterieller Schäden als Entschädigung für das verursachte Leid (OR 49); ➞ Einzug des Gewinns des Täters der rechtswidrigen Verletzung (OR 423 Abs. 1). Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn das Bild einer Person ohne ihr Wissen für kommerzielle Zwecke verwendet wurde. Zusätzlich zu den Mitteln, die das Privatrecht bietet, zielen bestimmte Strafnormen auch darauf ab, den Schutz der Persönlichkeit zu gewährleisten, wenn auch auf andere Weise. Konkret be- deutet dies, dass ein Angriff auf die Persönlichkeit nicht notwendigerweise eine Straftat darstellt. Dies gilt natürlich für Angriffe auf Leben und körperliche Unversehrtheit, nicht aber beispielswei- se für Imageschäden. Was die Ehre anbelangt, so ist sie im Strafrecht restriktiver geschützt als im Zivilrecht: Nach der Rechtsprechung schützen StGB 173 ff. nämlich nur das Recht auf moralische, nicht aber auf gesellschaftliche Rücksichtnahme (berufliches Ansehen, Zahlungsfähigkeit usw.). Das Recht auf Gegendarstellung, das in ZGB 28g bis 28l geregelt ist, erlaubt jeder Person, deren Persönlichkeit durch die Darstellung von sie betreffenden Tatsachen in einem periodisch erschei- nenden Medium (Presse, Radio, Fernsehen, Internetseite) beeinträchtigt wird, ihre eigene Version der Tatsachen in demselben Medium verbreiten zu lassen. Dies ist ein einfaches und schnelles Mittel, da es keine Einleitung eines Gerichtsverfahrens erfordert. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist die Persönlichkeit einer Person unmittelbar betroffen, so- bald die von den Medien berichtete Version des Sachverhalts von der eigenen abweicht und diese in den Augen der Öffentlichkeit in einem ungünstigen Licht erscheinen lässt. Die Person hat daher auch dann ein Recht auf Gegendarstellung, wenn es keinen wirklichen Angriff auf ihre Persönlich- keit gibt, und im Falle eines Angriffs auch dann, wenn dieser rechtmässig ist. Zusätzlich zu den verschiedenen Mechanismen zum Schutz der Persönlichkeit vor Dritten schützt das Gesetz den Einzelnen auch vor sich selbst, im Hinblick auf unüberlegte Verpflichtungen, die er eingegangen ist, die aber in Zukunft seine Freiheit gefährden würden. Dies ist die Bedeutung von ZGB 27 Abs. 2: «Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.» Eine Verpflichtung kann aufgrund ihrer Art, Dauer oder ihres materiellen Umfangs übertrieben sein. In einem solchen Fall kann die Person, die eine solche Verpflichtung eingegangen ist, bei einem Richter beantragen, die übermässige Verpflichtung auf ein angemessenes Mass zu reduzieren.
Das Recht auf Gegendarstellung
Schutz vor übermässiger Bindung
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