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Beziehungen EU-Schweiz
Früh stellte sich die Frage, ob und in welcher Form sich auch die Schweiz am europäischen Integ- rationsprozess beteiligen sollte, zumal unser Land mit seinen europäischen Nachbarn aufs engste verflochten ist. Die EU ist bei weitem der wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz. Umgekehrt ist unser Land immerhin viertgrösster Handelspartner der Union, nach den USA, Grossbritannien und China, aber noch vor Russland und Japan. Über 1,3 Millionen EU Bürger leben und arbeiten in der Schweiz, und viele weitere überqueren täglich die Grenze, um hier tätig zu sein. Umgekehrt leben und arbeiten rund 450000 Schweizer in der EU. Die Schweiz und die EU teilen darüber hinaus gemein- same politische Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte. Der Schweizer (Stimm-)Bürger zeigte sich aber wiederholt skeptisch gegenüber einer zu starken Integration und hat mit der Ablehnung des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Ende 1992 unsere Regierung auf den bilateralen Weg verwiesen. Die Schweiz betonte seitdem das Prinzip der Bilateralität, bei der zwei selbstständige und gleichberechtigte Verhandlungspartner am Tisch sitzen. Die Bilateralen Verträge begründen rechtlich den direkten Zugang der Schweiz zu Teilen des Binnenmarktes und weiteren EU-Politiken. Ausserhalb der Schweiz ist die Bezeichnung sektorielle Abkommen EU-Schweiz üblich. Die Bilateralen Verträge I enthalten Abkommen zu folgenden Bereichen: Personenverkehr (Per- sonenfreizügigkeit), Luft- und Landverkehr, Landwirtschaft, technische Handelshemmnisse, öf- fentliches Beschaffungswesen und Forschung. Dadurch erhält die Schweizer Wirtschaft einen gleichberechtigten Zugang zu weiten Teilen des EU-Binnenmarkts. Dieser steht ansonsten nur EU- und EWR-Mitgliedstaaten offen. In gewissen Bereichen liegen die Vorteile eher bei der Schweiz, in anderen eher bei der EU. Um diesen Interessenausgleich zu garantieren, wurden die sieben Verträge durch eine sogenannte «Guillotine-Klausel» miteinander verbunden. Das heisst, dass im Falle einer Kündigung eines Ab- kommens auch die anderen automatisch ausser Kraft treten. In den Abkommen wurde geregelt, welche Teile des EU-Gemeinschaftsrechts auch für die Schweiz angewendet werden. Eine automatische Übernahme von Änderungen, welche die EU an ihren Er- lassen vornimmt, wurde ausgeschlossen. Stattdessen wird für jedes der sektoriellen Abkommen ein «Gemeinsamer Ausschuss» eingerichtet, welcher darüber befindet, ob und wann Änderungen auch für die Schweiz gültig werden sollen. Dabei müssen Beschlüsse im gegenseitigen Einver- nehmen, d.h. einstimmig, gefällt werden. Sowohl die Schweiz als auch die EU verfügen über je eine Stimme, d.h. dass ohne Zustimmung der Schweiz kein Beschluss verabschiedet werden kann. Die Bilateralen Verträge II eröffneten der Schweiz die Teilnahme an weiteren EU-Politiken au- sserhalb des engeren wirtschaftlichen Bereichs. Einem Abschluss eines zweiten Vertragspaketes stand die Europäische Kommission zunächst eher ablehnend gegenüber. Aufgrund von jeweils einseitigen Interessen der EU (Zinsbesteuerung und Betrugsbekämpfung) und der Schweiz (Bei- tritt zum Schengener Abkommen und Lösung der aus den Bilateralen Verträgen I übrig gebliebe- nen offenen Fragen) einigte man sich auf weitere Verträge, die unter anderem beinhalten: Assoziierung der Schweiz an die Abkommen von Schengen und Dublin, welche den Abbau der Personenkontrollen an den europäischen Binnengrenzen sowie eine verstärkte Kooperation in den Bereich Innere Sicherheit, Justiz und Asylwesen bewirken; Ausweitung der Zusammenarbeit zur Aufklärung von Betrugsfällen; Zinsbesteuerung; Abbau von Zöllen und Exportsubventionen für verarbeitete Landwirtschaftsprodukte; Mitgliedschaft der Schweiz in den EU-Agenturen für Umwelt und Statistik; Teilnahme der Schweiz an den EU-Programmen für Bildung und Jugend sowie europäische Filmförderung.
Die Bilateralen Verträge I
Die Bilateralen Verträge II
Mit den Bilateralen Verträgen drängt sich zurzeit ein Beitritt der Schweiz zur EU aus wirtschaftli- cher Sicht nicht auf.
Beitrittsbefürworter
Beitrittsbefürworter betonen aber nach wie vor den Solidaritätsgedanken. Ausserdem sei es bes- ser, bei den EU-Beschlüssen als Mitglied aktiv mitzuwirken als diese als Aussenstehende bloss nachzuvollziehen. Zudem wird ins Feld geführt, dass ein Schub der reformfreudigen EU unserem verkrusteten Binnenmarkt gut täte (beschleunigtes Wirtschaftswachstum).
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